Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel

Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel

Organizer
Berliner Festspiele im Martin-Gropius-Bau, Berlin, und The Israel Museum, Jerusalem (10193)
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10193
Place
Berlin
Country
Germany
From - Until
20.05.2005 - 05.09.2005

Publikation(en)

LeVitte Harten, Doreet (Hrsg.): Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel. Berlin 2005 : Nicolaische Verlagsbuchhandlung, ISBN 3-89479-227-2 588 S. € 39,90 (in der Ausstellung € 24,00)
Reviewed for H-Soz-Kult by
Claudia Bade, Berlin

Pünktlich zum 40-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel zeigen die Berliner Festspiele und das Jerusalemer Israel Museum (<http://www.imj.org.il>) eine umfangreiche Schau zu Kunst und Kultur Israels. Dass der Titel suggeriert, es handle sich um eine reine Kunstausstellung, ist etwas irreführend. Gezeigt wird vielmehr eine Ausstellung über die Kunst und die Geschichte des Staates Israel sowie seiner Vorgeschichte, also des Zionismus und des Jischuw (der jüdischen Gemeinschaft in Israel vor der Staatsgründung 1948).

In künstlerischer Hinsicht beginnt die Ausstellung mit der Gründung der ersten Kunstgewerbeschule Bezalel 1906 in Jerusalem. Das Erbe der Schule legte den Grundstock des heutigen, 1965 eröffneten Israel Museums. In historischer Hinsicht setzt die Schau noch etwas früher ein: Den Anfang bilden hier die Pogrome im Russland der 1890er-Jahre sowie das Entstehen der zionistischen Bewegung mit Theodor Herzl, Martin Buber und anderen. Der Ausstellungstitel „Die Neuen Hebräer“ rührt daher, dass die Pioniere der ersten und zweiten Einwanderungswelle sich selbst als Nachfahren der „alten Hebräer“ sahen und mit diesem Begriff eine auf das Land und die Kultur bezogene Utopie eines zukünftigen Gemeinwesens sowie das Ideal eines „Neuen Menschen“ verbanden.

Zu sehen sind mehr als 700 Werke von rund 120 Künstlern, darunter Maler, Grafiker, Fotografen und Architekten. Die Arbeiten werden in 15 Kapiteln gezeigt, die größtenteils thematisch strukturiert sind. Ein Schwerpunkt liegt auf der zeitgenössischen Kunst der letzten fünf bis zehn Jahre; einen großen Teil machen allerdings auch Werbe- und Propagandaplakate aus den 1920er- bis 1960er-Jahren aus. Ein Raum ist der Architektur gewidmet: Die Formensprache der Bauhausarchitektur gehört zu Tel Aviv wie das Meer und der Strand. Gegen Ende der Ausstellung, aber doch zentral ist schließlich der Raum mit einem Stück der Tempelrollen aus Qumran, die aus der Zeit um 120 v.u.Z. datieren. Diese Tempelrollen gehören zu den ältesten vorhandenen Dokumenten in hebräischer Sprache und stehen normalerweise im Mittelpunkt des Israel Museums in Jerusalem. Ein Teil dieser Schriftrollen – die als Bindeglied zwischen „alten“ und „neuen“ Hebräern zu verstehen sind – wurde kürzlich mit finanzieller Hilfe des Auswärtigen Amtes restauriert und ist nun erstmalig in Deutschland zu sehen.

Genau genommen gehören die Tempelrollen zu einem zweiten, nicht-bildhaften Teil der Ausstellung, der zwar mit dem künstlerischen verwoben ist, aber doch etwas Eigenständiges ausmacht. Zu sehen sind außer den künstlerischen Werken nämlich auch historische Dokumente wie Fotos, Schriftstücke, Fahnen und andere Exponate, wobei die Begleittexte mehrheitlich die Entstehung und Etablierung des jüdischen Staates erläutern und weniger die Kunst. Gezeigt werden sehr aufschlussreiche Dokumente wie etwa das gefälschte Foto einer Begegnung zwischen Theodor Herzl und Kaiser Wilhelm II. in Jerusalem 1898, die lautschriftlichen Aufzeichnungen Herzls für sein Schlusswort auf dem 6. Zionistischen Kongress 1903 oder die Grabrede Moshe Dayans zur Beisetzung eines Soldaten, der 1956 im Gazastreifen ums Leben gekommen war.

Hier liegt allerdings das Problem dieser sehr sehenswerten und sorgsam kuratierten Ausstellung: Sie fällt gleichsam in zwei Teile – Text und Bild – auseinander. Im Grunde kann sie sich zwischen Kunst und Geschichte nicht recht entscheiden – so zumindest der erste Eindruck nach dem Besuch. Jeder Teil für sich hat beeindruckende Werke zu bieten und vermittelt neue Einsichten. Historisch besonders aussagekräftig sind beispielsweise auch die Fahnen der rechten zionistischen Betar-Bewegung. So erhalten nicht nur das sozialistische Establishment, sondern auch Zeev Jabotinsky und Joseph Trumpeldor ihren Platz in der Darstellung. Einwenden mag man vielleicht, dass die rechtsterroristischen Hintergründe der Betar-Bewegung dabei etwas verblassen.

Zu den künstlerischen Höhepunkten gehört etwa der Ausschnitt aus dem Film „Zeit der Kirschen“ von Chaim Buzaglo (1991), in dem ein Soldat mit riesenhaften Engelsflügeln in einem Militärjeep durch israelisches Grenzgebiet fährt – zur Musik von „Carmina Burana“. Bild und Ton wirken pathetisch auf die Betrachter, was daran liegen mag, dass in Israel auch Wunsch und Vorstellung von Frieden letztlich nur von Pathos durchdrungen sein können. Der dreiteilige triptychonartige Film vom Eichmann-Prozess im Raum mit dem Titel „Shoah“ kann nur betrachtet werden, indem man sich ähnlich wie Eichmann in Jerusalem in einen Glaskasten setzt. Dieses Pathos wird allerdings mitunter durchbrochen. Beispielsweise ist im selben Raum ein in Israel sehr bekanntes Gedicht abgedruckt – es handelt von der Ankunft der Passagiere der illegalen Einwandererschiffe zwischen 1945 und 1948, die größtenteils Holocaust-Überlebende waren. Dieses Gedicht wird kontrastiert mit einer Interpretation der Historikerin Idith Zertal, die dessen zionistische Männlichkeitskonstruktion zeigt, indem sie genauestens darlegt, wie skeptisch bis ablehnend die Holocaust-Überlebenden in der israelischen Gesellschaft vor und nach der Staatsgründung aufgenommen wurden. Es wäre spannend gewesen, weitere Dekonstruktionen zionistischer Mythen zu untersuchen und zu zeigen1 – doch an dieser Stelle versteckt sich die Ausstellung hinter der Kunst. Immerhin gelingt dem Team um die Kuratorin Doreet LeVitte Harten an einigen Stellen zumindest eine Kontrastierung der mitunter recht staatstragenden Einführungstexte zu den jeweiligen Kapiteln: Im Raum „Konflikte“ beispielsweise wird dieser Text von zwei Videoinstallationen kommentiert und konterkariert. In dem Film „Detail“ von Avi Mograbi (2004) werden Palästinenser an einem Checkpoint gezeigt, die – ohnmächtig gegenüber dem Militär – einfach nur einen Arzt auf der anderen Seite besuchen wollen und abgewiesen werden. Der andere Film, „Brothers in Arms“ von Doron Solomons (2004), zeigt betende orthodoxe Juden als Plastikfiguren auf einer Mauer.

In den beiden Räumen mit dem Titel „Krieg“ wird die Heroisierung der hebräischen Soldaten teilweise gebrochen, so etwa in dem Großbild „Verlorene Jugend“ von Nir Hod (2004/05) oder auf den Hochglanzfotos von Adi Ness (1995–1999), welche Soldaten beim christlichen Abendmahl oder in betont schwulen Posen zeigen. Das Video von Shai Zurim (2001), der mit Gitarrenbegleitung „Le Deserteur“ von Boris Vian singt, ist fast schon Blasphemie in einem Land, in dem Wehrdienstverweigerer bis heute häufig im Gefängnis landen. Auch diese Kunstwerke werden nicht kommentiert oder in einen historischen Kontext gebettet, sondern erhalten ihre Spannung durch die Kontrastierung mit den Begleittexten.

Ein bisschen gemogelt wird allerdings auch: Es sind nicht wirklich hundert Jahre israelisch-jüdische Kunst zu sehen. Die meisten Werke, die nicht zeitgenössisch sind, stammen aus der Pionierzeit, den 1920er- und 1930er-Jahren. Die Kunst und Kultur der 1950er- und 1960er- Jahre ist eher rudimentär vertreten. Besonders auffällig ist das bei der künstlerischen Darstellung des Holocaust: Hier fehlen Künstler wie Jehuda Bacon und andere, die zu der Generation der Überlebenden zählen. Es gehört allerdings zu den gelungenen Elementen dieser Ausstellung, dass die Besucher über die sozialistische Herkunft der Pioniere, die später das politische Establishment in Israel bildeten, informiert werden. Erwähnt wird auch das ursprüngliche Bilderverbot in der jüdischen Religion, das die jüdisch-israelische Kunst bis heute beeinflusst. Nicht zuletzt wird der zum Verständnis israelischer Kultur und Politik eminent wichtige Umstand in den Mittelpunkt gestellt, dass die große Mehrheit der Juden in Israel keineswegs religiös, sondern säkular ist. Das „Jüdischsein“ hat in Israel also weniger mit Religion zu tun als vielmehr mit Tradition. Für Israel-Kenner mag das eine Binsenweisheit sein, doch wird hierzulande immer noch nicht genügend zwischen „Israel“ und „Judentum“ unterschieden. Allerdings wirken die Texte mitunter recht pädagogisch und die Zusammenstellung von Bild und Text bemüht.

Möglicherweise ist es auch ein generelles Problem, in Ausstellungen Kunst und (Zeit-)Geschichte miteinander zu verbinden. Dazu hat es neuerdings unterschiedliche Ansätze gegeben: In der Frankfurter Ausstellung über den Auschwitz-Prozess2, die Ende 2004 auch im Martin-Gropius-Bau gezeigt wurde, stellte die Kunst eine relativ beliebig hinzugefügte Form der zeitgenössischen Betrachtung des Prozesses sowie des Holocaust dar; in der Berliner RAF-Ausstellung wurde gleich ganz auf die historische Einordnung verzichtet.3 Bei den „Neuen Hebräern“ ist zumindest der Versuch unternommen worden, Kunst und historische Darstellung zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei entsteht fast zwangsläufig eine Schieflage, die sicherlich auch der Geschichte und Kultur Israels geschuldet ist: Am chronologischen Beginn der Schau überwiegt die Historie vor den Bildern. Am Ende, in den Kapiteln „Krieg“ und „Konflikte“, dominieren dagegen die Bilder, und es fehlt die historische Einordnung (wobei eine halbwegs „objektive“ Darstellung der Genese des israelisch-palästinensischen Konfliktes wohl ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre). So fallen Text und Bild ein wenig auseinander, obwohl sie zeitlich und inhaltlich doch zusammengehören. Abhilfe schafft allerdings der äußerst empfehlenswerte Katalog, dessen zentraler und grandioser Essay aus der Feder von Shelly Fried stammt („Die Entstehung der zionistischen Bewegung als Kunstwerke [1882–1948]“, S. 82-89). Fried interpretiert den Zionismus nicht allein als einen historischen Prozess, sondern auch als Kunstwerk, da dieser ein Ergebnis schöpferischen, von Einzelnen hervorgebrachten Denkens darstelle. Wie in der Kunst sei der schöpferische Gedanke stets vor dem Handeln selbst gekommen. In dieser Weise betrachtet, fügen sich die beiden Hälften doch etwas leichter zusammen.4

Anmerkungen:
1 Gemeint sind hier Werke der so genannten „Postzionisten“, die sich seit den 1980er-Jahren äußerst kritisch mit zionistischen Mythen auseinandersetzen. Vgl. dazu beispielsweise Morris, Benny, The birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947–1949, Cambridge 1988; Segev, Tom, Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Reinbek 1995; neuerdings Zertal, Idith, Nation und Tod. Der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit, Göttingen 2003 (rezensiert von Moshe Zimmermann: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-172>). Von Zimmermann selbst ist in deutscher Sprache zuletzt ein Sammelband mit verschiedenen Aufsätzen erschienen: Goliaths Falle. Israelis und Palästinenser im Würgegriff, Berlin 2004.
2 Rezensiert von Sabine Horn: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=22&type=rezausstellungenngen>.
3 Siehe dazu den Themenschwerpunkt „Die RAF als Kunst-Werk“: <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=RAF-Inhalt>.
4 Zur Vertiefung trägt auch das Begleitprogramm zur Ausstellung bei, das wird von der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet wird: <http://www.bpb.de/veranstaltungen/7KDBF2,,0,Die_neuen_Hebr%E4er_100_Jahre_Kunst_in_Israel.html>. Im Martin-Gropius-Bau sind außerdem während der Laufzeit der Ausstellung mehrere israelische Spielfilme zu sehen; abrufbar unter: <http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/11_gropiusbau/mgb_04_programm/mgb_andere_sprachen/mgb_05_hebraeer_filmprogramm.php>.

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